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Selbstschädigende Gedanken

Im vorigen Beitrag Störungsfreie Zone! ging es um eine Übungssequenz und innerhalb derer darum, Gedanken loszulassen, um im Gegenzug innerlich ruhig werden zu können. Festgestellt habe ich, auch im Gespräch mit anderen, dass es eine Sorte Gedanken gibt, die uns besonders zu schaffen macht, weil die Gedanken allzu hartnäckig an uns kleben und sich eben nicht "mal eben" aus dem Kopf verbannen lassen, so dass ein innerliches frei werden und echte Entspannung unmöglich ist. Ich nenne sie hier "selbstschädigende" oder "destruktive" Gedanken.

 

Um besser zu verstehen, warum das so ist, habe ich zunächst versucht zu beobachten, wann oder wo mir solcherart Gedanken begegnen. Und ich musste feststellen: sie durchziehen meinen Tag wie kleine Fäden, scheinen immer wieder durch und beeinflusssen mich unbemerkt. Unbemerkt deshalb, weil ich mich schon daran gewöhnt habe. Ich habe mich mit diesen Gedanken arrangiert, nehme sie als gegeben hin. Und ich habe bisher mehr daran gearbeitet, die Folgen abzufedern als ihnen tatsächlich den Garaus zu machen. Weil ich - ohne genauer hinzusehen - davon ausgegangen bin, dass das gar nicht möglich ist. Ein Leben ohne selbstschädigende Gedanken? Nicht vorstellbar!

 

Tatsächlich gibt es statt dessen eine ganze Reihe von Strategien, den eigenen allzu unangenehmen Gedanken mehr oder weniger erfolgreich zu entfliehen. Zwei Beispiele: ich konzentriere mich dermaßen auf meine Arbeit, dass Anderes in meinem Kopf eben gar keinen Platz mehr hat. Ich vertiefe mich so im Sport oder beim Yoga auf die Bewegungsabläufe, dass ich an gar nichts anderes mehr denken kann. Erst mal ist daran nichts verkehrt! Positiv betrachtet ist "im Flow" zu sein ein besonders kreativer, wunderbarer und wünschenswerter Zustand. Schwierig wird es dann, wenn echte Entspannung nicht mehr stattfinden kann, weil in dem Moment der möglichen Entspannung die destruktiven Gedanken augenblicklich zurückkehren, mich einholen und - ohne dass ich das will - wieder voll in Beschlag nehmen.

 

Und abgesehen davon weiß ich aus leidvoller Erfahrung auch: ich kann mich noch so zentriert und geerdet fühlen - es genügt eine bestimmte Situation, in der ich gefühlt die Kontrolle verliere,  es reicht eine leicht dahingesagte Bemerkung meines Gegenübers, um von jetzt auf gleich eine ganze Heerschar negativer Gedanken in mir auszulösen, samt der dazugehörigen Gefühlsachterbahn...

 

Langfristig lohnt es sich, nachzuspüren, woher diese selbstschädigenden Gedanken kommen. Möglicherweise braucht es eine gute Portion Engagement, Zeit und Geduld dahinter zu kommen, wo die Gedanken ihren Usprung haben und noch ein wenig mehr, die Situation zu verändern. Manchmal ist dafür auch eine definierte Auszeit aus dem Alltag notwendig, ein geschützter Rahmen, die Hilfe eines behutsamen Gesprächspartners.

 

Und kurzfristig?

 

Ich für mich bin schon eine ganze Weile dabei, mit meinen selbstschädigenden Gedanken zu arbeiten. Und ich schreibe bewusst "mit". Dagegen anzukämpfen hat bei mir diese Gedanken nur verstärkt. Sie auszurotten wie Unkraut aus einem Garten... das kriege ich nicht hin. Deswegen muss ich aber nicht verzweifeln! Ich kann das auch als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung sehen. Und das ist dann schon eine positive Brise im destruktiven Gedankensturmtief. Ich versuche in der Akutsituation wie folgt vorzugehen - und diese Strategie hat tatsächlich sehr viel Ähnlichkeit mit der anfangs erwähnten Übungssequenz, sie legt den Fokus nur ein wenig anders:

 

Atmen. Im Hier und Jetzt verankern mittels mehrerer bewusster Atemzüge.
(Wie alles im Leben klappt das umso besser, je öfter ich es auch außerhalb von Krisenmomenten übe.)

 

Die selbstschädigenden Gedanken - wie alle anderen auch - erst mal nur wahrnehmen und (wieder)erkennen. Meist sind sie ja keine Unbekannten...

 

Eine gesunde Distanz schaffen.

Und da ist er wieder, mein Lieblingssatz:  Ich bin nicht meine Gedanken.  Und ich bin nicht verpflichtet, meinen (destruktiven) Gedankengängen brav zu folgen und den Inhalt zu glauben. Noch viel weniger muss ich mich auf die damit verknüpften Emotionen einlassen oder mich mit ihnen identifizieren - und mir scheint, das ist das Wichtigste überhaupt!  Ich bin nicht meine Gefühle und ich bin ihnen nicht ausgeliefert.  Ich habe nämlich festgestellt: nicht die Gedanken an sich machen mich fertig. Es sind die Gefühle, die mit den Gedanken einhergehen, die, wenn ich nicht sorgsam auf mich achte, mich komplett überfluten und aus der Bahn werfen und die dazu führen, dass ich mutlos werde und hilflos oder aggressiv und ungehalten oder trostlos und unansprechbar oder... oder... jedenfalls aber nicht mehr in der Lage, schadlos aus der Krise herauszufinden.

Ich übe mich also darin, diese "besonderen" Gedanken einfach nur wahrzunehmen und anzunehmen als etwas, das eben da ist. Und genauso nehme ich die anwesenden intensiven Gefühle wahr und akzeptiere sie im Moment wie sie sind, ohne weiter in sie einzutauchen und ohne sie zu bewerten. Ich belasse es beim Beobachten, ganz bewusst und ganz strikt, und atme weiter ein und aus. Der Atem ist mein zuverlässiger Anker und hilft mir, die Distanz zu wahren.

 

Um aus einem akuten Anfall heraus zu kommen, reicht das vielleicht schon. Ergänzt gegebenenfalls mit persönlichen Strategien, von denen ich weiß, dass sie mir gut tun wie: den Raum verlassen/ einen kurzen Spziergang machen/ am offenen Fenster mich dehnen und mich bewegen/ die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper und mögliche Verspannungen lenken und diese lösen...

Und dann kann ich mir vornehmen, zu einem anderen Zeitpunkt genauer hinzugucken und nach dem Auslöser und dem Ursprung zu forschen. Oder, wenn eine bestimmte Situation aus dem Ruder gelaufen ist, ich kann mich fürs nächste Mal zum Beispiel vermittels innerer positiver Bilder schon von vornherein anders vorbereiten.

 

Wenn Du an Dir nicht Freude hast, die Welt wird Dir nicht Freude machen.  (Paul Heyse)

 

Ich bin bis dato zu dem Schluß gekommen, dass in mir, in meinem Kopf es immer Gedanken UND Gefühle geben wird, die mir eigentlich gar nicht gut tun und von denen es besser wäre, ich würde sie nicht mal im Ansatz denken oder fühlen. Und ich weiß, da geht es nicht nur mir so. Ein Leben ohne selbstschädigende Gedanken, ohne schmerzliche Gefühle? Tatsächlich eine Illusion! Und im Sinne der Dualität vielleicht auch gar nicht wünschenswert?!? Die gute Nachricht lautet: Wir können mit den selbstschädigenden und destruktiven Gedanken und Gefühlen umgehen lernen. Ganz sicher! Und im besten Fall, so wünsche ich mir das, lehrt uns die Erfahrung mit ihnen gerade, die Freude und das Glück in uns und unserem Leben und in der Welt um uns herum zu sehen und zu lieben.