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Was kann mein Pferd, was ich nicht kann...?

Vor ein paar Tagen lehrte mich meine Stute schlicht aber eindrücklich, was sie natürlicherweise kann – etwas, das ich dabei bin, mir gerade mühsam zu erarbeiten:

 

Die Situation war, dass meine Stute nach der Akupunkturbehandlung noch so lange am Putzplatz warten sollte, bis die Nadeln von selbst abfallen bzw. sich leicht herausziehen lassen. Es waren mehrere Pferde da, sie stand also nicht allein. Ich war anderweitig beschäftigt, hatte meine Stute aber immer im Blick, auch deshalb, weil sie am Putzplatz nie die Geduldigste ist. Und während ich immer wieder zu ihr hin sah, prüfend, ob es ihr auch gut ginge, ob eine Nadel schon gezogen werden könne, überlegend, ob ich sie vielleicht gegen die Mücken einsprühen sollte oder ob es sonst etwas gäbe, wie ich ihr das Warten so angenehm wie möglich machen könnte… stand meine Stute einfach nur da. Sie nahm mit Gelassenheit und Geduld die Situation hin wie sie war und hat sich bestmöglich entspannt und nach einer Weile sogar fast die Augen geschlossen. Als ob sie wüsste, dass jetzt gerade nichts Anderes von ihr verlangt wird, es jetzt für sie einfach nichts Anderes zu tun gibt, als nur gerade hier zu stehen und zu warten. Das hat mich sehr berührt und etwas in mir angestoßen.

 

In diesem Augenblick wurde mir überdeutlich der fundamentale Unterschied bewusst:

Mein Pferd lebt im Hier und Jetzt. Es gibt sich ganz in eine Situation hinein. Auch reagiert es sofort und ohne große Überlegung – das kann ich beobachten, zum Beispiel, wenn mein Stütchen, weil sie in der Bodenarbeit mich und meine Gesten nicht versteht, ihren Unmut äußert und ebenso, wenn sie ihre Zustimmung und ihr Wohlgefühl ausdrückt. Ich muss mir eigentlich nie einen Kopf darum machen, wie es ihr wohl geht, wie sie gerade empfindet… es reicht, wenn ich mit offenem Herzen hinsehe, hinhöre und hinspüre. Mein Pferd, so würde ich sagen, lebt mit Hingabe im gegenwärtigen Moment.

 

Und ich?

Ich bin die, die den Kopf voll von Gedanken hat. Ich bin gedanklich einer Situation zumeist einen oder gleich mehrere Schritte voraus, so manches Mal hinke ich aber auch hinterher. Statt im gegenwärtigen Moment zu sein, bin ich damit beschäftigt, über irgendetwas in der näheren oder ferneren Zukunft voraus-zu-denken oder über bereits Vergangenes noch lange nach-zu-grübeln.

 

Beim Musizieren habe ich gelernt, immer mehrere Takte vorauszulesen… und dennoch von Moment zu Moment, von Phrase zu Phrase die einem Werk innewohnende Musik zu entwickeln. Die Fähigkeit vorauszulesen ist quasi eine grundlegende Technik, um sich auf die Musik und die eigene Interpretation konzentrieren und ganz darauf einlassen zu können. Das macht Sinn. Im Alltag jedoch kreisen meine Gedanken oft um etwas ganz Anderes und weit Entfernteres als das, womit ich gerade beschäftigt bin. Und das passiert mir auch dann, wenn ich das gar nicht will: ich putze mein Pferd, bin eigentlich ganz bei der Sache, will mich ja ganz und gar mit meinem Pferd beschäftigen, ganz für es da sein - und ertappe mich, dass ich in Gedanken bei einem Gespräch mit einer Kollegin mehrere Tage zuvor hängen geblieben bin. Das ist kontraproduktiv. Und ich merke, dass mir das zunehmend Stress macht. Ich kann mein Gedankenkarussell nämlich nur noch sehr schwer abschalten, es scheint irgendwie immer und dauerhaft zu laufen, wie ein Hintergrundprogramm. Das aber bewirkt, dass ich mich im Gegenzug immer schlechter konzentrieren oder gar entspannen kann.

 

Verstehe tief in dir drin,

dass der gegenwärtige Moment alles ist, was du je haben wirst.

Mach das Jetzt zum primären Ziel deines Lebens.

(Eckhart Tolle)

 

Daher habe ich mir nun vorgenommen, mir mein Pferd zum Vorbild zu nehmen: Ich versuche, mehr und mehr Momente meines Lebens bewusst wahrzunehmen und mit Hingabe und Geduld zu leben, die schönen und auch die weniger schönen; letztere lassen sich ja vielleicht auch ein wenig "transformieren"... Mist! Ich stecke mal wieder im Feierabendverkehr fest! Ja, blöd, aber jetzt ist es so. Schneller geht 's auch dann nicht, wenn ich in meinem Ärger alle vor mir fahrenden Autos beschimpfe. Mir selbst geht es jedoch garantiert besser, wenn ich das lasse. Statt mich weiter zu ärgern, kann ich im Auto meinen Lieblingssender einstellen und mich darüber freuen, gute Musik zu hören.

Ich versuche, mein Wohlbefinden wahrzunehmen und ebenso mein Unbehagen, wenn es mir gerade nicht so gut geht, ohne gleich ins Nachdenken über mögliche Konsequenzen zu geraten. Es geht hier ums Wahrnehmen dessen, was ist, nur wahrnehmen, nicht werten. Ich kann das für mich in Worte fassen, vielleicht auch aufschreiben – und lasse das dann so stehen.

Und ich bemühe mich, in mir still zu werden und übe das, indem ich auch im Außen ganz still werde. Eine Tasse Tee zelebrieren und mich ganz dem Duft und Geschmack hingeben. Einen Spaziergang (mit oder ohne Pferd) im Wald machen und all die Geräusche des Waldes, den Geruch, das Licht… genießen. Für einen Moment am Schreibtisch nur da sitzen und in mich hineinhören.

 

Manchmal gelingt es mir, mich dem gegenwärtigem Moment des Lebens hinzugeben, ganz bei mir zu bleiben und gleichzeitig offen zu sein für das, was ist. Und das ist dann unbeschreiblich schön! Es ist wie ein Blick in das Paradies… und ich ahne: dieses Paradies ist nicht unerreichbar und fern, sondern ich trage es in mir und darf es mir erschließen.